16.04.14

Kunst in Sibirien und Pluralbildung der Maskulina. Danila Menschikow.

      
Der Gott atmet in den Leib des Mannes den Geist ein. In den Mund hinein.  Eben nur durch diesen Satz konnte ich mir einst die Substantive männlichen Geschlechts merken, als ich mich an der Uni mit dem Thema „Pluralbildung deutscher Substantive“ gequält habe. Also sollten als Ausnahmen „Gott“,“Mund“, „Leib“, „Mann“, „Geist“ gespeichert werden. Die bilden den Plural anders als Maskulina es sonst tun. Na ja…manches männliches duldet keine gebahnten Wege. Wie auch die Künstler, seien sie aus Deutschland oder Sibirien. Künstler sind eigentliche nur die, die eben keine gebahnten Wege gehen, sondern ihre eigenen Spuren hinterlassen.

    Danila Menschikow, ein Maler aus Nowosibirsk, hat es geschafft, sehr viele Wege gegangen zu sein. Mal als raffinierter Maler im zentrumsnahen Atelier, das er von seinem Vater, einem bekannten Nowosibirsker Bildhauer übernommen hat. Mal als Handwerker. Mal als ein konservativer Romantiker. Mal als ein richtiger Sibirjak, der in seinem Landeshaus zu tüfteln versteht, in einem gottverlassenen Dorf, 100 km von Nowosibirsk entfernt. Mal als Lehrer. Danila ist vieles auf einmal.  Ein Pluraliatantum. Und nichts widerspricht sich, sondern umgekehrt, es entsteht ein Ganzes, dadurch, dass sich Gegensätze ziehen.  Typisch russisch.

Der Handwerker

    Bei Frage Handwerk muss man aufpassen, dass man sicher nicht bei billigem Volkskitsch landet, der einem Ausländer, der in Moskau durch die Arbat-Straße pendelt,  als nette Volkskunst vorkommen kann.
-    Sibirische oder russische handwerkliche Techniken, das Handwerk und die Kunst sind drei unterschiedliche Sachen, so Danila. Das Handwerk ist eigentlich die Fertigkeit, jeweilige Werkzeuge ideengemäß einzusetzen. Wenn dabei  hohe Vibrationen des menschlichen Geistes im Spiel sind, die auch einen anderen berühren, so ist es schon Kunst. Die Kunst ist halt die höchste Stufe des Handwerkes, sagt der Maler.
       Und was ist nun mit der russischen Volkskunst? Mit all dem, was als „russische Volkskunst“ in Souveniersläden verkauft wird? Die wären eine falsche Adresse, denn das Echte ist nicht zu kaufen oder zu verkaufen. Die russische oder auch sibirische Volkskunst ist im Märchen, Sagen, Liedern zerstreut, die einst Danila für eine Reihe Illustrationen inspiriert haben.



Der Maler, aber kein sibirischer

    Danila Menschikow betont, er sei kein sibirischer Maler, aber ein russischer. Die Kunst ist eigentlich das, was einerseits subjektiv  und andererseits international ist, sie kennt kein Deutsch oder Russisch. Das Subjektive bei der Kunst ist nämlich der Blick des Malers, der auf etwas gerichtet ist, was die anderen nicht sehen. Wie im berühmten Kinderspiel. Danila sieht alltägliche Dinge anders, ihre Magie ist auch auf den Bildern zu spüren.

 Und das Entstellte drauf ist nicht gleich das Entstellte, sondern die Einzigartigkeit des Blickwinkels des Malers. Danila malt gerne Frauen mit langen Hälsen und unmöglichen Hüten, weil er als Maler das Recht auf einen Fehler hat, der in der Kunst nicht gleich der Fehler ist, sondern eben die Handschrift, die Art und Weise zu malen. Wie es El Greco, Vincent van Gogh, Picasso, Velázquez, Francisco de Goya mal gewagt haben, anders zu malen als es üblich war. Die alle, samt Da Vinci, waren und sind ein Vorbild für Danila. Der technische Fortschritt des 20-21.Jahrhunderts beindruckt zwar, aber die Errungenschaften des menschlichen Geistes sind in der Antike, in der Renesaince zurückgeblieben.  





Der konservative Romantiker







   Diese langen Hälse kommen aus der europäischen Gotik mit ihren Türmern, aus dem anderen Leben, aus der anderen Welt, die für einen sowjetischen Durchschnittsmann unmöglich weit und unerreichbar waren. Wenn man hinter dem Eisernen Vorhang groß wird und Europa aus Romanen von Alexandre Dumas, aus Legenden über Till Eulenspielgel kennt, aus Bildern von Dürer und Leonardo da Vinci, so bleibt man diesen Gestalten treu, wenn die auch in Europa selber keine Vorbilder mehr sind.
     Europa, wie es vor Nitzsches  „Gott ist tot“ war, lebt weiter im Gedanken- und Kulturgut der russischen Intelligenzija, die sich nach wie vor an die Renaissance, Antike orientiert, an diese Wiege des menschlichen Geistes.  In russischen Fachschulen und Fachhochschulen für Kunst stehen immer noch die Titanen der Renaissance als Vorbild, eben als Denkmäler der Errungenschaften des menschlichen Geistes. 
-     Auf die zu verzichten und die Kunst auf neuem Boden zu schaffen heißt ein wandelnder Komet zu sein, der keine Heimat kennt. Wie die gegenwärtige europäische Kunst, die sich komischerweise Kunst nennt. Es ist aber keine. Bloß kreatives Schaffen, dessen Reiz schnell vergeht und kaum in die Ewigkeit durchsickert, so Danila.

Kein zeitgenössischer Künstler






   Zeitgenössische Kunst sei für Danila ein Schimpfwort. Bei der Kunst geht es ums schöpferische Schaffen. Die zeitgenössische Kunst  wie bei Bruce Nauman sei vor allem Ungeheuerlichkeit und Vernichtung. Die Maler in den 20-60-ern des 20.Jahrhunderts konnten sich leisten, das Publikum zu schockieren, aber im 20.Jahrhundert hat sich die Anzahl der Menschen vervierfacht, es sind jetzt gute 6 Mrd auf der Erde. Das Ungeheuerliche kommt nicht mehr an. Die Renaissance  verberge das Traditionelle, im Nachhinein wurde es  nur noch nach Schattierungen gesucht.
    Die gegenwärtige Kunst, das, was sich als solche nennt, das Meiste davon, sei halt ein anderer Zweig, kein Erbe der großen Epoche.
   Viele russische Künstler, eher aber nicht die russische Avantgarde, dafür aber hätten alles sorgfältig gesammelt, denn diese Orientierung an die Renaissance war mehr als nur die Kunst.
Das war für einen durchschnittlichen sowjetischen Menschen die Möglichkeit aus dem Realismus in die andere Welt zu fliehen oder eine zu schaffen. 
     Deshalb versteht sich ein Künstler immer als ein Schöpfer. Ein Bild zu malen heißt zu schaffen. Eine künstlerische Performance, wenn ein Haus abgerissen wird, heiße Vernichtung und in diesem Sinne keine Kunst, da kein Schaffen. Das ähnelt eher einem Vandalenakt. Und der Vandalismus kommt aus der städtischen Kultur. Aus der Sehnsucht nach Freiheit und viel Bewegung. Wenn man in so einer Stadt wie Nowosibirsk lebt, ist man schon ein Städter, der aber kurz und schnell ins Dorf fliehen kann und der Natur nah zu sein.

Der Sibirjak und der Dorfbewohner





-    Die Kunst an sich sei das Kind der Zivilisation, so Danila.

    Es ist eine Art Ersatz der Natur, ein tiefgefrorenes Stück der Harmonie, das Wenige davon, was im städtischen Leben zugänglich ist. Im Dorf ist die auf Schritt und Tritt zu treffen. Da kann einer damit jederzeit liebäugeln. Wenn Danila ins Dorf fährt, um sich vom städtischen Trubel zu erholen, so tüftelt er da gerne, macht das, was ein echter Mann auf dem Lande zu erledigen hat. Das Leben auf dem Lande bietet schon viele Möglichkeiten, Tag für Tag schöpferisch zu bleiben, etwas zu errichten und aufzubauen. Das ist im Blut des Menschen. Bloß das städtische Leben zwingt uns zu nichts zu tun und das verletzt das innere Bedürfnis des Menschen zu schaffen, sich zu bewegen. Daher kommen viele Vandalenakte und Perfomances. Es ist bloß so, dass Danila Menschikow  in seinem Dorf Abraschino am Ob-Stausee, bald sein Atelier vermisst. Ein Traum, ein ganzes Jahr durch auf dem Lande zu leben kommt und kommt nicht in Erfüllung, denn auch bei einem Künstler gilt es, den Regeln der Gesellschaft zu folgen, in der Geben und Nehmen ein Gleichgewicht haben sollten.

Der Lehrer








   Das beeinflußt einen sehr, wenn er zwischen der Hauptstadt Sibiriens und einem weitgelegenen Dorf lebt, fortgeschrittene Maltechniken anwendet, um Gestalten der Renaissance neu zu interpretieren. Wenn man noch als Kind als Andersdenker in der sowjetischen Schule getadelt wird und Jahre danach sieben Tage der Erschaffung der Welt darstellt.  
  Wenn man als ein Sibirjak in Spanien plötzlich versteht, dass Meer, Küste, Spanisch irgendwie vertraut vorkommen, wenn man dabei auch mitten im Schneewald beim ersten Strich des Streichholzes das Feuer machen kann. Man spürt so deutlich einen starken Geist an Danila. Heutzutage würde das eher Ausstrahlung heißen. Aber bleiben wir beim Wortschatz der Antike und Renaissance.
     Der Gott hat bestimmt den Geist in den Leib dieses Mannes eingeatmet. Danila hält in der Hand den Faden, der die alten und neuen Zeiten verbindet. Und deshalb  kann er nun den anderen beibringen, was das plastische Denken in Kombination mit Wort ist, wie einer zwischen dem heutigen Alltag und den antiken Idealen nicht zerrissen wird. Heutzutage fehlt das irgendwie nicht nur unter Künstlern, nicht nur in Europa. Wäre das nicht der Anlass, nach Nowosibirsk zu kommen?



Am 01.Mai 2014 wird in Wolfenbüttel eine Ausstellung mit Bildern von Danila Menschikow eröffnet.http://www.artgeschoss.com/ausstellung-2014-exhibition-2014/

12.10.13

der erste zweite Schnee

Da wollte ich unbedingt das hier zeigen, unseren ersten Schnee. Es hat eigentlich schon mal einige Tage vorher geschneit, aber gaaanz kurz und die Flocken waren auch nicht so richtig weich. Diesmal stimmte alles. Fotos hat ein begabter Fotograf gemacht, Ilnar Salachijew
















22.07.13

Deutsche sind die zweitgrößte Nationalität im Gebiet Nowosibirsk

Die letze Volkszählung aus 2010 hat diesen Status der Deutschen wiederum bestätigt. Noch 1989 haben im Gebiet Nowosibirsk über 60 000 Einwohner deutscher Herkunft gelebt. Die waren entweder noch Anfang des 20.Jahrhunderts von der Volga-Region nach Sibirien freiwillig gekommen. Oder auch verbannt. Am 28.August 1941. Heutzutage leben im Gebiet Nowosibirsk 31 000 Deutsche, ein Drittel dabei in der Stadt, die übrigen zwei Drittel im ländlichen Gebiet. So, wie es eigentlich Katharina die Zweite, die Große Katharina, die selber Deutsche war, in ihrem Erlaß vom 22.Juli 1763 gewollt hat. 250 Jahre sind um. Gut, dass es so war. Gut, dass es so ist.